In den Klauen der Liebe

Ein Porträt von Pfridolin Pferd

Ihr kennt mich. Ich bin ein attraktiver, selbstbewusster Fast-Hengst, dessen einziger Fehler seine Bescheidenheit ist. Einer, auf den die Welt nur gewartet hat. Ein Kerl. Mit einem Wort: Männlich. Draufgängerisch. Cool. Mit anderen Worten: Ich jammere nicht. Niemals.
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Kopf hoch!

Wir haben die Weihnachtsquadrille hinter uns und was soll ich sagen – wir leben alle noch! Das liegt zum einen natürlich an Frau Reitlehrerins extrem autoritärer gewissenhafter Vorbereitung, zum anderen daran, dass Elses Reiterin, neben der wir uns die meiste Zeit aufhalten, gut leise schreien vorsagen kann und zum dritten daran, dass die Frau tatsächlich mal ihren Kopf hochgenommen und nach den anderen Pferden geguckt hat.

Sonst schaut sie ja immer ganz angestrengt nach unten – vermutlich, um nachzusehen, ob ich noch da bin. Ich finde das ja eigentlich niedlich von ihr. Praktisch ist es auch, weil ich ganz gern auf der Vorhand latsche und sie es mir damit noch einfacher macht.

Aber Frau Reitlehrerin ist aus irgendwelchen Gründen dagegen. Wegen dem Dressurreiten und der Gesundheit und der Lastaufnahme durch die Hinterhand. Von Lastaufnahme kann ich euch was erzählen – die Frau hat ganz schön zugenommen!

Zuerst hat sich die Frau noch damit rausgeredet, dass sie nach Geld sucht. Das wurde aber schnell unglaubwürdig, vor allem, weil sie nie was gefunden hat. Dann hat Frau Reitlehrerin diktatorisch verfügt, dass alles Geld, das während der Reitstunde im Reithallensand gefunden wird, ihr gehört. Das hat die Frau aber immer noch nicht dazu gebracht, ihr Köpfchen zu heben und gerade zu sitzen. Als nächstes hat sie behauptet, sie wäre total konzentriert. Der hängende Kopf wäre Ausdruck der Versunkenheit in das, was sie gerade tue. Alle großen Reitmeister würden so sitzen. Nuno Oliveira zum Beispiel. Wenn er noch leben würde. Frau Reitlehrerin erwidert, die Frau wolle sich doch jetzt nicht ernsthaft mit Herrn Oliveira vergleichen wollen? Neinnein, meint die. Das wäre ihr halt so aufgefallen. Wenn das bei Herrn Oliveira und den anderen Größen der Reiterei funktioniere, dann doch sicherlich auch bei ihr. Frau Reitlehrerin rauft sich innerlich die Haare und erklärt, dass es Künstler gäbe und Handwerker und Lehrlinge. So ein Künstler wäre so unglaublich genial in seiner Reiterei, dass ein Lehrling das gar nicht nachreiten könne. Das liege in der Natur der Sache. Man solle doch vernünftigerweise erst einmal das Reiten lernen und dann Künstler werden. Sprich: Gerade sitzen und gucken, dass man aus dem Sitz heraus reitet. Mit sauberen Gewichtsverlagerungen und ohne Verdrehen oder Einknicken in der Hüfte.

Mein bester Freund Faxe sagt, jeder Reiter hätte seinen Lieblingssitzfehler, aber ich glaube, die Frau ist in der Hinsicht begabt. Die kann nämlich alle kombinieren. Das ist praktisch, weil man sich so nicht entscheiden muss. Da sieht man mal wieder: Jeder kann was, sogar die Frau 😉 Auf jeden Fall guckt sie konsequent nach unten und hat sich bisher durch nichts davon abbringen lassen. Dass das fürs Quadrillereiten nicht unbedingt von Vorteil ist, könnt ihr euch denken.

Dann ist aber etwas passiert, was ihren Sitz radikal verbessert und mich traumatisiert hat. Bitte macht sowas nicht nach! Ich hatte nämlich bis gestern noch eine Frisur. Eigentlich bis genau gestern Mittag. Kurz vor der Quadrille stand die Frau neben mir und verkündete, meine Mähne wäre schandbar lang und sie wollte sich nicht mit so einem ungepflegten Zotteltier blamieren. Hallo, das waren höchstens 15 Zentimeter! Egal. Beherzt schwang sie die Schere und zickzackte drauflos. Ich weiß ja immer schon, was kommt. Nämlich: „Huch, das ist aber schief!“ Schnipp, schnapp. „Huch, das ist aber kurz. Nur noch ein kleines Fitzelchen, dann sieht es nicht mehr so schief aus.“ Schnipp, schnapp. „Huch.“ Kurze Pause. „Na, das wächst ja wieder nach.“

Tja, und seitdem guckt sie beim Reiten nicht mehr nach unten und mein ohnehin nur schwach ausgeprägtes Liebesleben ist mal wieder ruiniert. Else, mit der ich eigentlich schon ganz romantische Gespräche geführt hatte, hat bei der Quadrille die ganze Zeit über gekichert 🙁 und die Frau hat sich zum ersten und einzigen Mal nicht verritten, weil sie nämlich immer schön nach ihrer Quadrillenpartnerin und den anderen Reitern geguckt hat.

Möchte vielleicht irgendjemand die Frau adoptieren? Sie isst ziemlich viel und man darf ihr keine Schere in die Hand geben, aber ansonsten ist sie harmlos.