Neues vom langen Bein

Die arme Frau. Jetzt hat sie die wunderbaren neuen Stiefel, die in etwa so bequem sind wie ein bis zwei Gipsbeine, und trotzdem keinen lockeren Oberschenkel. Wahrscheinlich ist das auch wieder meine Schuld. Ich kenn das schon. Der Mann und ich teilen uns die Schuld an allem, was nicht klappt, vom schlechten Wetter bis zur zu engen Reithose.

Weil die Frau zwischendurch wieder mit den alten Reitstiefeln geritten ist, hatte ich mich schon gefragt, was wohl mit dem neu gekauften langen Bein passiert ist. Vielleicht hat sie es ja in den Schrank gestellt oder in ihrer üblichen Unordnung verschlampt verlegt. Vielleicht ist es auch in Urlaub? Die Frau sagt, im Urlaub hätte sie ein ganz toll langes Bein gehabt. Überhaupt wäre sie im Urlaub toll geritten. Immer dann, wenn grade keiner geguckt hätte. Das wäre bei ihr eigentlich immer so – wenns klappt, guckt keiner. Und wenn jemand zuguckt, klappt natürlich gar nix. Als sie das gesagt hat, hat sie den Mann und Frau Reitlehrerin so komisch von der Seite angeschaut. Aber die beiden kennen sie anscheinend schon länger und tragen es mit Fassung.

Aber man fragt sich schon, wieso nur ein langes Bein und nicht zwei, oder? Also mir ist das natürlich direkt aufgefallen, und ihr wahrscheinlich mittlerweile auch. Na, Hauptsache, das ganze lästige Geld ist erstmal weg, so dass sie in Ruhe auf ein zweites langes Bein sparen kann.

Auf jeden Fall sind ihre Beine mit den neuen Reitstiefeln schön ruhig – kein Rumwackeln mehr, keine hochgezogenen Absätze, die sich in meinen muskulösen Bauch bohren – prima! Das liegt aber nicht etwa daran, dass die Frau ganz plötzlich reiten gelernt hat, sondern es kommt natürlich daher, weil die schicken Dressurstiefel so flexibel und bequem wie Skischuhe sind. Mit Skiern dran.

Aber die Stiefel sind schon auch schön und machen ein elegant schlankes Bein. Von daher hat sich der Kauf irgendwie auf jeden Fall gelohnt. Und damit es noch schöner wird und vielleicht sogar irgendwann auch mit dem Reiten klappt, hat Frau Reitlehrerin der Frau ein neues inneres Bild zum Üben gegeben. Sie soll sich nämlich vorstellen, sie würde beim Reiten nach oben und unten wachsen. Wie ein Baum. Aber schon eher wie eine Pappel, nicht wie so ne Bonsai-Trauerweide. Als die Frau das zum ersten Mal ausprobiert hat, war es irgendwie ein cooles Gefühl. Sie so mit Körperspannung und ich so mit Körperspannung. Das kenn ich sonst gar nicht von uns. Und alles nur, weil sie an einen Baum gedacht hat. Schon toll, oder? Ich probiere das gerade auch aus und denke an Möhren. Bin gespannt, was passiert 🙂

Die Frau kauft sich ein langes Bein

Das mit dem langen, ruhigen Bein macht der Frau schon länger zu schaffen. Also dass sie keines hat, meine ich natürlich 😉

Zum einen sieht es auf den Videos und Fotos, zu deren Anfertigung sie den Mann nötigt, nicht schön aus, zum anderen klappt’s halt auch mit dem Reiten nicht so gut, wenn man ständig treibt und mit dem Bein herumwackelt. Auch Frau Reitlehrerin meint, es wäre ungünstig, wenn man dauernd den Absatz hochzieht und sich damit den Sitz versaut. Außerdem würden Pferde es ja bekanntlich auch mitbekommen, wenn eine Fliege auf ihnen herumkrabbelt, da müsste man also logischerweise davon ausgehen, dass ihnen ein ständig treibender Schenkel kolossal unangenehm ist (Thema Losgelassenheit und so). Von daher wäre jedes Pferd sensibel am Schenkel. Wenn man es nur lässt.

Habe ich euch schon erzählt, dass Frau Reitlehrerin toll ist? Ja, habe ich schon? Ich dachte, ich hätte es vielleicht vergessen.

Die Frau findet natürlich, dass ihr unruhiger Sitz meine Schuld ist. Ich wäre so unbequem und würde auch nicht vorwärtsgehen. Dabei verschweigt sie aber, dass wir intern mal die Abmachung getroffen hatten, dass ich möglichst langsam auf dem Reitplatz herumeiere, damit sie sich nicht so doll am Zügel festhalten muss und ich bloß keine schwungvollen Gänge entwickele, weil dieser schreckliche Schwung ja so anstrengend zu sitzen ist. (Übrigens habe ich gehört, dass man dafür Bauchmuskeln braucht. )

Mal ganz ehrlich: Warum soll ich mir das Leben schwermachen und freudigen Vorwärtsdrang zeigen, wenn ich doch nur mit dem Zügel im Maul gestört werde? Eben, das macht man ein paarmal und findet dann Alternativen 😉

Frau Reitlehrerin ist glücklicherweise ganz meiner Meinung. Zum einen wäre das Festhalten am Zügel verdammungswürdig, zum anderen würde sich die Frau durch ihre Herumwackelei jegliche Möglichkeit der zielgerichteten, feinen Einwirkung nehmen. Was eigentlich schade ist, denn sie würde so gern Piaffe Passage halbwegs nett reiten können.

Was also tun? Frau Reitlehrerin vertritt die Ansicht, a) die Frau sollte weiter Bauchmuskeltraining machen und b) das Bein sollte locker herunterhängen. Dann sähe es optisch schon mal länger aus. Und jetzt locker nach unten durchfedern. Locker, locker, locker. Das Bein wäre nämlich nicht zum Treiben da, sondern zum Beispiel für die Biegung. Echt jetzt? Die Frau will das nicht glauben. Man müsste doch mit dem Schenkel treiben? Ja schon, aber nicht mit dem hochgezogenen Absatz. Die Frau fühlt sich ertappt, traut sich aber nicht zu widersprechen und setzt stattdessen einen fragenden Blick auf.

Frau Reitlehrerin versteht und erklärt das mit den treibenden Hilfen nochmal ganz genau. Man würde nämlich einmal leicht mit der flachen Wade drücken, bis Pferd und Reiter in der gewünschten Gangart sind. Danach wäre es die Aufgabe des Pferdes, das Tempo beizubehalten. Das hört sich nach Arbeit an. Ich bin kurzfristig entsetzt.

Zur Not hätte die Frau ja eine Gerte dabei, mit der man das Pferd (mich!) mit zunehmender Intensität touchieren könnte. An diesem Punkt ihrer Ausführungen habe ich Frau Reitlehrerin nicht mehr ganz so lieb.

Der Pfridolin wäre ja so ein kluges, sensibles Tier, sagt sie, während sie mich in die Bahnmitte bittet und krault. So ein wunderbares Pferd wäre ich, dass ich dieses System sofort verstehen würde, so dass die Frau schon mit einem leichten Touchieren den gewünschten Effekt hätte. Ich nicke geschmeichelt. Jaja, klug und sensibel, das stimmt schon. Und wenn dafür die ständige Absatzbohrerei in meinem Bauch aufhört, ist es ja eigentlich doch keine so schlechte Idee.

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Weil die Frau sich weigert, ihre Beine entspannt runterhängen zu lassen, zieht Frau Reitlehrerin ein bisschen daran herum und dreht ihr die Oberschenkel so ein, dass die Beine mit der flachen Wade an mir anliegen. So, und jetzt damit einmal leichten Druck ausüben – fertig. Wie – mehr nicht?, fragt die Frau. Nee, mehr Kraft bräuchte man da nicht. Und wenn der kluge, sensible Pfridolin darauf nicht reagieren würde, könnte die Frau ihn leicht mit der Gerte touchieren und dann – siehe oben. Ich habe genug gehört und setze mich in Bewegung. Die Frau jubelt, Frau Reitlehrerin grinst.

Das hat die Frau sehr beeindruckt. Um aber auf Nummer Sicher zu gehen und weil sie gern shoppen geht, mussten jetzt neue Reitstiefel her, und zwar möglichst hohe und möglichst enge, wegen der schicken Dressuroptik. Die alten Stiefel wären schon oll und ausgeleiert, da wäre es ja kein Wunder, wenn nix klappt und das Bein so furchtbar wackelt.

Jetzt hat die Frau sehr elegante Dressurstiefel, in denen sie ihre Beine nicht bewegen kann – also insofern Ziel erreicht. Leider kann sie damit außer Rumsitzen auch nicht viel tun, geschweige denn Herumlaufen, weil die Stiefel so wunderbar neu und unbequem sind. Aber das würde sie niemals zugeben. Sie sagt dann immer, sie würde die neuen Stiefel schonen 😉

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