Valegros Schwippschwager

Bei uns im Stall ist ein neues Pferd. Waldini heisst er und ist ein Turnierpferd. Das sagt jedenfalls seine Besitzerin. Ihren Namen kann ich mir nicht merken, weshalb ich sie der Einfachheit halber Frau Rollkur nenne. Waldini ist immer in seiner Box, seit er einmal auf der Weide einen Freudenausbruch hatte und beim Bocken aus Versehen ein Hufeisen verlor. Frau Rollkur war nämlich gar nicht darüber erfreut, dass der Schmied nicht sofort und auf der Stelle Zeit für sie hatte (in dem Punkt ähnelt sie der Frau. Die nimmt auch immer alles persönlich.).

Was aber viel schlimmer war: Frau Rollkur konnte zwei Tage lang nicht reiten. Und das vor dem wichtigsten Turnier der Saison!

Dabei hatte sie sich gute Chancen ausgerechnet. Immerhin ist Waldini Valegros Schwippschwager, hat also fast genauso erlauchte Vorfahren wie er. Und nur darauf kommt es an, behauptet Frau Rollkur. Leider hätte Waldini den schwierigen Charakter seines Onkels mütterlicherseits geerbt, weshalb sie ihn immer mit Schlaufzügeln reiten müsste. Außer auf Turnier, versteht sich. Da wird er zuhause eine Stunde lang ablongiert, damit er Frau Rollkur halbwegs störungsfrei durch die E-Dressur tragen kann.

Frau Rollkur hat auch eine eigene Bereiterin, damit Waldini bloß nicht lernt, dass er die Nase auch an der Senkrechten oder gar davor tragen kann. Das wäre ja auch keine Rollkur. Der Waldini würde halt einfach schön rund laufen, erklärt Frau Rollkur dem Mann, der sie darauf angesprochen hat. „Aber gut, dass Sie grade vorbeikommen. Könnten Sie mir wohl helfen, den Nasenriemen enger zu machen? Ich hab dafür nämlich nicht genug Kraft.“
Der Mann verneint, weil sich ihm die Sinnhaftigkeit des Ganzen nicht erschließt. Wieso die Nase zusammenschnüren? Und warum Schlaufzügel?

Er schlendert entspannt weiter, wie das so seine Art ist. Inmitten eines Haufens Gerümpel In der Sattelkammer findet er die Frau, die so tut, als würde sie aufräumen und sich wundert, was dabei für längst vergessene Ausrüstungsgegenstände zum Vorschein kommen. So viele häßliche Gamaschen! Und Bandagen in allen Farben der vorletzten Saison! Die Frau erkennt dringenden Shoppingbedarf. Aber heimlich, versteht sich. Der Mann meckert eh immer über das ganze Zeugs, das sie in den Stall schleppt die absolut unverzichtbaren Pferdesachen, die sie anschafft. Und dabei beschränkt sie sich schon auf das Allernötigste!

Der Mann steigt über einen Stapel Pferdedecken und erzählt von Waldini und der jüngsten Begegnung mit Frau Rollkur. Die Frau freut sich über seine pferdefreundliche Einstellung und erklärt ihm, dass Schlaufzügel ein absolutes No Go sind und dass zwischen Nasenriemen und Pferdekopf überall mindestens zwei Fingerbreit Platz sein muss. Und zwar zwei Finger übereinander, nicht nebeneinander! Ansonsten wird die Atmung beeinträchtigt, unsereiner kann seinen Speichel nicht mehr richtig abschlucken und schon gar nicht entspannt kauen. Und damit meine ich nicht das unzufriedene Knirschen auf dem Gebiss, das Waldini macht, weil ihm das Maul zugeschnürt wird. Manchmal versucht er auch, die Zunge rauszustrecken, weil ihm alles weh tut. Dann wird flugs der Nasenriemen fester gezurrt, so dass das Maul zu bleibt. Das heißt aber nicht, dass Frau Rollkur dadurch besser reitet.

Die Frau und der Mann erzählen sich gerade, dass Frau Reitlehrerin den ordnungsgemäßen Sitz der Trense vor jeder Unterrichtsstunde kontrolliert. Ob das nicht auch eine Idee für Frau Rollkur und ihre Bereiterin wäre? Man stelle sich vor: Die schicke Lackledertrense mit dem ganzen Glitzer dran und dann noch ohne Schlaufzügel und richtig verschnallt! Aber was denn Frau Rollkur so ganz ohne unfaire Hilfsmittel mit Waldinis schwierigem Charakter anfangen solle, fragt sich die Frau, die auch gern so eine Lackledertrense mit Bling-Bling hätte.

Dazu fällt mir ein Spruch von Frau Reitlehrerin ein: Richtig reiten reicht 😉

Zum Weiterlesen: Mehr Infos zum Nasen- bzw Sperrriemen gibts bei Herbstmöwe, und Melanie von Penny das Pony ist Bandenprofi beim Turnier. Viel Spaß!

Teilen mit:

Eine Antwort auf „Valegros Schwippschwager“

Kommentare sind geschlossen.