„Alle reiten mit Kandare und ich will das auch!“

Weihnachten ist vorbei – Zeit für gute Vorsätze oder für ein neues Leben. Die Frau, meine sogenannte Besitzerin, entscheidet sich für letzteres. Ich weiß nicht, was mit ihrem alten Leben nicht in Ordnung war, aber egal, sie will ein neues beginnen. Man erkennt es daran, dass sie nachdenklicher und noch häufiger im Internet ist als sonst. Und dort treibt sie sich, wie ich durch geduldiges Spionieren herausgefunden habe, auf Verkaufsseiten für Pferde-Zubehör herum, wo sie Kandarengebisse und – zäume bestaunt. Dabei macht sie Geräusche, die sich anhören wie: „Der hier ist aber hübsch. Oder nein, der. Oder der. Hach!“

Besorgt sehe ich den Mann an. Sie wird doch nicht…? Oh doch, sie wird. Als ich sie das nächste Mal sehe, ist sie ins Gespräch mit Frau Reitlehrerin vertieft.

„Ich dachte, du willst jetzt mehr Freiarbeit machen?“, fragt Frau Reitlehrerin.

„Ach nein, das ist doch nicht so das Wahre. Eigentlich will ich ja Reitkunst treiben“, antwortet die Frau. Lästigerweise hat das mit der Freiarbeit nicht im ersten Anlauf geklappt, und dieses ganze Üben und Denken ist eh nichts für die sogenannte Besitzerin. Das ist nämlich ein Zeichen, findet sie. Wenn was nicht sofort klappt. Und zwar ein Zeichen dafür, dass sie es üben sollte. Und zwar ein Zeichen dafür, dass es einfach nicht sein soll, tut ihr furchtbar leid. Dann doch lieber Reitkunst, Piaffe oder Reiten mit Kandare. Halt irgendwas, was man euphorisch ein bis dreimal ausprobiert und wo man dekorative Ausrüstungsgegenstände kaufen kann. Und sind wir doch mal ehrlich, das alles hat der Freiarbeit leider gefehlt.

Jetzt also Kandare. Himmel hilf.

„Guck mal, hier!“, wedelt die Frau mit einer flatschneuen, schnörkelig verzierten Kandare herum.

„Was willst du denn mit einer Kandare?“, will Frau Reitlehrerin wissen.

„Feiner reiten“, strahlt die sogenannte Besitzerin.

„Feiner reiten durch brutalere Hilfsmittel?“

„Nicht? Wieso spricht man denn da von verfeinerter Hilfengebung?“ Die Frau ist irritiert.

„Weil das Gebiss so scharf ist, dass du nur mehr millimeter- und grammweise einwirken musst. Bei falscher Handhabung ist der Unterkiefer durch die Hebelwirkung der Kandarenanzüge und die Kinnkette wie in einem Schraubstock eingespannt.“

„Immer hast du was zu meckern. So komme ich ja nie weiter“, schmollt die Frau.

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Frau Reitlehrerin lächelt pädagogisch und erklärt, dass zum Reiten mit Kandare die sogenannte Kandarenreife gehört. Das heißt, beide, Reiter und Pferd, müssen einen bestimmten, fortgeschrittenen Ausbildungsstand erreicht haben. Die Reiterin hat ihr Pferd vornehmlich am Sitz und benötigt die Zügel eigentlich gar nicht mehr. Und das kandarenreife Pferd muss sich am Sitz reiten lassen, also mit Schenkel und Gewichtshilfen. Auch das Pferd benötigt eigentlich keine Zügelhilfen mehr, denn es ist ausbalanciert, losgelassen und zeigt beginnende Versammlung.

„Ja und? Wo ist das Problem?“, ereifert sich die sogenannte Besitzerin. „Jeder reitet mit Kandare. Also alle außer mir. Und es gibt sogar eine Reitschule, wo man mit Kandare und so schicken spanischen Sätteln reiten kann. Auch Piaffe!!!! Und da ist es ganz egal, wenn die Pferde ohne Rücken und mit herausgestrecktem Unterhals herumlaufen. Weil das aus dem Stierkampfreiten kommt und da alles anders ist. Und außerdem ist es Kunst, jawohl. Und spirituell und unbeschreiblich. Aber das versteht hierzulande mal wieder keiner.“

Aber da wird Frau Reitlehrerin kurz humorlos und erklärt der Frau genau, dass und wieso sie diese Art des Reitens für unphysiologisch und pferdeverachtend hält. Kann man ja eigentlich selbst draufkommen, dass Stierkämpfer nicht für ihren tierfreundlichen Ansatz bekannt sind, gell. Bei den komplizierten Wörtern schaltet sich allerdings das Gehirn der Frau ab und sie nuschelt: „Das ist doch nicht so schlimm, dieses unphysiodingens. Weil wenn es schlimm wäre, wüsste ich das.“ Aber Frau Reitlehrerin ist noch nicht fertig: „Physiologisch heißt so viel wie natürlich oder gesund. Und bei unphysiologisch wird es sehr schnell sehr schmerzhaft fürs Pferd.“

Da ist dann doch Schluss mit lustig, das sieht auch die sogenannte Besitzerin ein. Traurig lässt sie den Kopf hängen.

„Aber guck doch mal, wer alles schlecht mit Kandare reitet“, tröstet Frau Reitlehrerin. „Gefühlt jeder zweite. Da ist es doch viel toller und was richtig Besonderes, wenn du korrekt und fein mit Trense reitest.“

Ach so, stimmt. So hat es die Frau noch nicht gesehen. Auch der Mann unterstützt Frau Reitlehrerins klugen Plan. „Lieber Trensenturner als Kandarenquäler“, formuliert er launig.

Und damit hat er doch irgendwie recht. Sogar die sogenannte Besitzerin verzieht ihre Mundwinkel nach oben und ist jetzt wieder mit der Welt im reinen. Und die wundervoll verzierte Kandare wird schnell in ein beliebtes Verkaufsanzeigenportal eingestellt.

Bild: Trense muss reichen, ich hab Kandaren-Allergie 😛

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