Lucero beim Tierarzt

Der Lutschi war beim Tierarzt. Nein, eigentlich war es genau umgekehrt: der Tierarzt war beim Lutschi. Tierärzte machen das so, damit ihre Patienten keine Möglichkeit haben, sich zu verstecken. Sie kommen zu einem nach Hause und finden einen auf jeder Weide und in jeder Box. Meist hilft ihnen ein zweiter Mensch dabei. Ich weiß gar nicht, warum? Faxe meint, die Pferdebesitzer würden dem Tierarzt sogar noch Geld dafür geben, dass er Löcher in die Pferde piekst und andere Dinge mit ihnen tut. Das glaub ich aber nicht. Die Frau gibt ja bekanntlich ihr ganzes Geld für albern buntes Pferdezubehör aus, da bleibt nix mehr für den Tierarzt übrig 😉

Na ja, mit einem Mal steht also der Tierarzt da. Ich kenne ja sein Auto und bin sicherheitshalber mal eben um die Ecke verschwunden, wie kluge Pferde das halt so machen. Der Lutschi nicht. Der steht da und staunt den Mann mit dem großen Auto an wie einen Sack Möhren. Die Frau wieselt diensteifrig herum, begrüßt den Herrn Doktor unterwürfig, merkt dann, dass sie sich uncool verhält, haut noch ein paar flache Witze raus, um das wieder auszugleichen und fängt schließlich den Lutschi ein. Was nicht sonderlich schwer ist, weil der ihr vor lauter Neugier und Aufdringlichkeit fast auf den Arm geklettert wäre.

Nun ist es ja nicht so, als ob das spanische Mähnenwunder noch nie Besuch vom Tierarzt gehabt hätte. Auch geimpft wurde es schon. Und trotzdem strahlt der kleine Kerl den Doc an wie Faxe die Futterkarre. So langsam bin ich davon überzeugt, dass der Lutschi geistig in einer ganz anderen Liga spielt als ich. Möglicherweise sogar auf einem anderen Planeten. Ich hatte ja immer schon den Verdacht, dass er mir intellektuell nicht so ganz folgen kann, aber seit heute bin ich mir sicher.

Ich halte mich vorsichtshalber in sicherer Entfernung auf und beobachte, was weiter geschieht. Schließlich bin ich schadenfroh neugierig interessiert. Außerdem hab ich ihn gewarnt und er wollte nicht hören. Da muss er jetzt schon selbst gucken, wie er klarkommt.

Der Tierdoc und der Lutschi begrüßen sich herzlich. Manchmal ist mir der Lutschi mit seiner Naivität echt peinlich. Er selbst findet sich ja kommunikativ und entgegenkommend, was am Ergebnis aber nix ändert 😉

Jetzt hat die Frau den Equidenpass in der Hand. Das kenne ich – gleich kommt die Spritze und man kriegt ein Loch ins Fell gemacht. Das Mähnenwunder kennt das eigentlich auch. Nichtsdestotrotz setzt der Lutschi seinen Schlafzimmerblick auf und knabbert am Tierarzt herum. Der kichert und streichelt den aufdringlichen Spanier.

Moment mal. Irgendwas läuft hier falsch. Bei mir geht Impfen nämlich immer ganz anders. Da flucht der Herr Tierarzt (natürlich auf akademisch zurückhaltende Art, was wohl daran liegt, dass er die Spritze zwischen den Zähnen festhält), die Frau schimpft und zerrt am Strick und ich tanze hysterisch in der Gegend herum und suche einen Fluchtweg in ein Land, in dem sich unsere Wege nicht mehr kreuzen werden. Ich tröste mich damit, dass sich die Frau gleich einmischen und den Doc daran erinnern wird, weshalb er hier ist.

Endlich bereitet der Doc die Impfung vor. Jetzt wird der Lutschi ganz weinerlich. Der Doc tröstet ihn lieb und entschuldigt sich dafür, dass er ihn pieksen muss. Der Lutschi hat währenddessen das Maul in seine Jackentasche gesteckt und macht einen gar jämmerlichen Eindruck. Der Tierarzt guckt auch traurig und verspricht, ihm nächstes Mal eine Banane mitzubringen. Die Frau mischt sich ein und findet das „ganz, ganz lieb“. Dabei guckt sie den Tierdoc so komisch an. Mit Sternchenaugen. So ähnlich wie Else, als die das letzte Mal rossig war. Ich glaube nicht, dass das dem Mann gefallen würde.

Der Lutschi hat währenddessen heimlich seinen Strick aufgeknotet und lässt sich loben, weil er nicht weggelaufen ist. Der Tierarzt zückt die Spritze. Der Lutschi versucht, sie ihm zu klauen. Der Tierarzt lacht und lobt ihn dafür. Für mich der klare Beweis dafür, dass Menschen einen an der Waffel haben. Neuer Versuch – jetzt schüttelt der Lutschi apart seine zauselige meterlange Mähne, so dass der Doc nicht richtig zielen kann. Kurze Beratung. Der Lutschi knotet währenddessen seinen Strick wieder auf. Die Frau hält ihn jetzt direkt am Kopf fest, so dass der Lutschi mit dem Maul ihre Armbanduhr untersuchen kann. Weil er dabei nicht herumwackelt, kann der Tierdoc tatsächlich impfen.

Zur Belohnung gibt die Frau dem Doc einen Apfel. So hungrig sah der aber gar nicht aus, weshalb er den Apfel an den Lutschi weitergibt. Der muss dafür den Impfpass, den er dem Doc zwischenzeitlich aus der Hand gerupft hatte, wieder loslassen. Jetzt lachen wieder alle. Verrückt, oder?

Als der Lutschi wenig später auf die Weide zurückkommt, meint er, Impfen wäre gar nicht schlimm, sondern im Gegenteil ziemlich unterhaltsam. Beim nächsten Mal wollte er dem Tierarzt auch noch das Stethoskop klauen. Diesmal hätte er es nur fast geschafft, aber nächstes Mal würde es ganz sicher klappen. Und eine Banane gäbe es außerdem. Nur schade, dass er jetzt zwei Tage Pause hätte und keine lustigen Dinge mit der Frau machen könnte. Aber die Zeit könnte er ja nutzen und sich überlegen, wie sich sein neu entdecktes Interesse an der Tiermedizin mit seinem bisherigen Berufswunsch Taschendieb kombinieren lässt.

Und dazu fällt mir dann auch nix mehr ein.

Ich hab da mal ne Frage

Spricht auch mit Menschen: das spanische Mähnenwunder

Der Lutschi, der eigentlich Lucero heißt und ein spanisches Mähnenwunder ist, wohnt jetzt schon länger bei uns und hat auch schon viel gelernt. Zum Beispiel sieht er die Frau mittlerweile nicht mehr als das gottgleiche Wesen, als dass sie ihm anfangs vorgekommen ist.

In der ersten Zeit hat er sie noch begeistert angestaunt, vielleicht auch, weil er bisher keine Menschen kannte, die sich auf die ihr eigene, unnachahmliche Art fortbewegen und die körpersprachlich so wirr kommunizieren. Mittlerweile hat aber sogar der Lutschi, an dessen Geistesgaben ich bekanntlich starke Zweifel hege, gemerkt, dass die Frau harmlos ist und die meiste Zeit gar nicht weiß, was sie so tut. Gestern war zum Beispiel so ein Tag.

Es fing damit an, dass die Frau das minderjährige Mähnenwunder auf den Reitplatz zerrte, wo sie ihn laufen lassen wollte. Sie nennt das übrigens Freiarbeit, weil sich das cooler anhört. Dort waren noch ein paar Sprünge aufgebaut, die sie „mal eben“ wegräumen wollte. In der Zeit sollte sich der Lutschi schon mal alleine im Schritt warmlaufen. Manchmal frage ich mich schon, was in ihrem Kopf so vorgeht ^^

Die Frau räumte also planlos hin und her, während ihr der Lutschi über die Schulter schaute und sich partout nicht von ihr trennen wollte. Jaaa, aufdringlich sein kann er 🙂 Ihre weiteren Versuche, ihn wegzuscheuchen, hätten leider auch nicht geklappt, weshalb sie ihn dann einfangen und führen wollte.

Das wollte der Lutschi aber nicht. Der hatte nämlich inzwischen herausgefunden, dass auf der anderen Seite der Umzäunung Gras wächst und es fast gar nicht anstrengend ist, sich so zu verrenken, dass man drankommt. So bewegten sich beide von Grasbüschel zu Grasbüschel, bis auch die Frau ausreichend aufgewärmt war. Der Lutschi hatte währenddessen noch verschiedene andere Fragen, zum Beispiel, ob er wirklich von den Grasbüscheln weg müsste und wieso er schneller laufen sollte. Und warum ausgerechnet außen rum? In der Mitte wäre doch auch Platz.

Die Frau sah das anders. Der Lutschi hätte sich bitteschön von ihr zu entfernen, wenn sie böse guckt. Trab und Galopp auf puren Gedankenimpuls hin wär auch nicht schlecht, alternativ würde halt ziellos mit der Longierpeitsche herumgefuchtelt. Aha. Der Lutschi war davon nicht im gleichem Maße überzeugt. Erstens, so seine Argumentation, wäre es lustiger bei der Frau als alleine draußen auf dem Hufschlag. Mit der Frau könnte man nämlich toll spielen. Zweitens wäre die Peitsche zu kurz. Da könnte sie ruhig wedeln, was das Zeug hält, sie würde ihm nicht gefährlich werden. Und drittens wollte er wissen, ob die Frau denn ganz sicher wäre, dass er das tun müsste? Ja, das war die Frau und wedelte noch etwas entschlossener mit der Peitsche.

Der Lutschi meinte, er hätte da noch ne Frage. Ja?, meinte die Frau, nun schon mit einem bösen Glitzern in den Augen. Ob er denn wirklich rechtsrum laufen müsste, linksrum wäre nämlich seine neue Lieblingsrichtung. Schwupps, weg war er. Gefolgt von der Frau, die sich ja bekanntlich mehr bewegen will.

Der Lutschi. Wer hätte das gedacht, dass er einmal bei mir in die Lehre geht und mir dabei hilft, die Frau zu gymnastizieren? Also ich nicht. Als er mir das erste Mal schläfrig in die Augen blickte, war ich noch sehr, sehr skeptisch, was unsere gemeinsame Zukunft angeht. Die Frau hat bestimmt auch nicht damit gerechnet, dass er sich so gut entwickelt. Sicher ist sie insgeheim sehr stolz auf uns beide.

Aber Haken schlagen muss sie wirklich noch üben, das geht geschmeidiger 😉

P.S.: Wer wissen will, wie man das mit der Freiarbeit besser hinkriegt, kann zum Beispiel bei Fühlend Reiten oder bei der Pferdeflüsterei nachlesen. Oder man holt sich bei Tash Horse Experience Grundlagenwissen über Seilchenschwinger und Wattebauschwerfer 🙂