„Der sieht aber toll aus! Was der für Wahnsinnsgänge hat!!“ Die Frau, meine sogenannte Besitzerin, ist schockverliebt. Wer es ihr aktuell angetan hat, ist kein Geringerer als Zorro de Luxe, der neue internationale Dressurkracher.
„Guck doch mal, was der für einen Wahnsinnstrab hat!“ Sie wedelt so lange mit dem Handy vor Frau Reitlehrerins Nase herum, bis die einen prüfenden Blick auf das Wundertier wirft.
„Taktunrein“, ist ihr Kommentar.
„Das ist eine überragende Trabmechanik!“, liest die Frau aus der Bildunterschrift vor. „Du hast ja keine Ahnung!“
Frau Reitlehrerin sagt nichts, aber ihr pädagogisches Lächeln intensiviert sich, bis die sogenannte Besitzerin nachfragt. „Wie meinst du das? Und woran sieht man es?“
„Weil die diagonale Fußfolge gestört ist“, erklärt Frau Reitlehrerin. „Du erkennst es daran, dass Unterarm und Hinterröhre nicht parallel sind.“
Auf der Stirn der Frau entstehen Fragezeichen.
Frau Reitlehrerin erläutert: „Der Trab ist eine diagonale Gangart im Zweitakt, das heißt, die diagonalen Beinpaare bewegen sich gleichzeitig und dabei notwendigerweise parallel. Auf dem Foto, das du gerade auf dem Handy hast, kannst du gut sehen, dass sich das diagonale Beinpaar nicht parallel bewegt. Das linke Vorderbein greift sehr weit aus, das rechte Hinterbein kommt gar nicht nach und wird deutlich weniger nach vorne geführt.“
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„Bei den modernen Pferden ist das so, da gelten diese veralteten Maßstäbe nicht mehr. Total old school“, behauptet die sogenannte Besitzerin, die neuerdings Zucht- und Dressurexpertin ist. „Die modernen Pferde haben einfach mehr Schulterfreiheit.“
„Das nennt sich Takt und ist die unterste Stufe der Ausbildungsskala. Taktunreinheit ist auch kein modernes Phänomen und hat mit der Zucht nichts zu tun. Du kannst das nämlich auch auf alten s/w Fotos sehen. Das Problem liegt dabei nicht im Pferd, sondern in der nicht korrekt gerittenen Verstärkung, bei der die Hinterhand nicht aktiv genug ist und die Vorhand strampelt, also in der Luft zurückgeführt wird und dann erst auffußt. Bei einem korrekt gerittenen starken Trab ist die Parallelität gegeben, weil sich bei einem vergrößerten Tritt auch die Abfußhöhe vergrößert.“
Die Zucht und Dressurexpertin guckt fragend.
Frau Reitlehrerin übersetzt: „Das Pferd hebt den Hinterfuß höher. So bewegen sich die diagonalen Beinpaare synchron.“
„Hmpf“, macht die Zucht- und Dressurexpertin.
„Das passiert, wenn man korrekt von hinten nach vorn reitet. Was man vielfach auf Turnierplätzen und anderswo sieht, sind kurzgezogene Hälse, ein falscher Knick und da wird das Pferd dann durchgetrieben. Das Pferd kann die Vorderbeine nicht mehr locker aus der Schulter vorschwingen, sondern muss die Vorhand über den Kopf-Arm-Muskel nach vorne-oben ziehen. Das ist Reiten von vorn nach hinten, und dabei geht der Takt verloren. Von Losgelassenheit ist oft auch nichts mehr zu sehen. Was die moderne Pferdezucht damit zu tun hat: Moderne Pferde sind oft hypermobil und können exaltiertere Bewegungen als ihre Vorfahren zeigen. Zudem sind sie häufig leidensfähiger und lassen sich mehr gefallen. Aber auch die müssen korrekt geritten werden. Beziehungsweise gerade die Tiere, die nicht selten auf spektakuläre Bewegungsabläufe und Leidensfähigkeit selektiert wurden, haben eine ganz besonders korrekte und schonende Ausbildung und Reitweise verdient, damit sie lange leistungsfähig bleiben und nicht schon in jungen Jahren verschlissen sind.“
Und da erscheint ganz kurz ein hässlicher Gedanke im Gehirn der sogenannten Besitzerin: Ach wäre das schön, wenn der Pfridolin sich auch mehr gefallen lassen würde. Stichwort leidensfähig und so.
„Ich hätte auch gern ein modernes Pferd“, äußert sie sehnsüchtig. „Es ist doch allein die Schuld vom Pfridolin, dass ich nicht so gut reite. Im Grunde meines Herzens habe ich Potenzial für mehr. Das hat mir letztens erst jemand gesagt.“
„Wollte dir dieser Jemand ein Pferd verkaufen?“
„Ja.“
„Ach so.“
„Wie jetzt – ach so?“
„Der Pfridolin ist schon ein gutes Pferd. Überleg doch mal, wie selten du den Tierarzt brauchst. Beim Reiten ist es ein bisschen wie in einer Beziehung, man kommuniziert miteinander, entwickelt sich gemeinsam und wächst zusammen. Und guck doch mal, wieviel ihr schon zusammen gelernt habt. Und du hast ja außerdem noch den Lutschi! Der ist sitzbequem und brav.“ Für die, die uns nicht kennen: Der Lutschi alias Lucero ist unser spanisches Mähnenwunder, was seine beiden Gehirnzellen ausnahmslos fürs Mähnenwachstum benötigt.
„Mit dem ist der Mann immer unterwegs“, teilt die Frau schlechtgelaunt mit.
„Dann tauscht doch einfach die Pferde, damit du den Lutschi mehr im Unterricht reiten kannst!“ Und du wirst sehen, früher oder später wünschst du dir den Pfridolin zurück. Das denkt sie allerdings nur und sagt es nicht.
So einfach kann es sein, denkt wiederum die Frau und kann ihr Glück kaum fassen.
Und ich für meinen Teil finde auch, dass der Lutschi die sogenannte Besitzerin öfter rumschleppen könnte, während ich schön chillig mit dem Mann im Gelände rumdümpele 😉
Bild: Roland Hitze, Wikiportret
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