Blutsaugen like a Pro

Die Frau und das Spazierengehen auf Asphalt haben nicht gereicht, jetzt sollen es die Blutegel richten. Hat jedenfalls der Tierdoc beschlossen. Die Frau erschauert wohlig. Endlich eine Gelegenheit, selbst Medizin zu treiben und sich wichtig zu machen!

Schließlich kennen wir die Frau und ihren ungesunden Ehrgeiz, alles besser wissen zu wollen als die Leute vom Fach.

Nein, nein, wiegelt der Tierarzt ab. Das sollte schon jemand machen, der etwas davon versteht. Zum Beispiel Tierheilpraktikerin 1 bis 3, alternativ ein Tierarzt. Er selbst zwar nicht, aber er würde da jemanden kennen.

Die Frau schmollt. Nie darf man was. Mit so Blutegeln rumhantieren ist doch wohl keine große Kunst, oder?!

Ist es anscheinend doch. Man müsste die Biester nämlich erstmal zum Beißen kriegen, erklärt die hinzugezogene Expertin. Der gemeine Blutegel wäre nicht ganz so blutrünstig wie man meint. Meistens hängt er nämlich in seinem Aufbewahrungsglas herum oder schmollt unter einem Stein.

Alles nur eine Frage der Technik, wiegelt die Frau ab. Wenn man da souverän heranginge, würde auch der schüchternste Egel zur blutrünstigen Bestie.

Sie hat den Blutegeln nämlich schon mal bei der Arbeit zugeguckt und sogar einen angefasst, was sie ihrer Ansicht nach zur Autorität in Egelfragen macht.

Aha, sagt die Tierheilpraktikerin wenig beeindruckt. Dann wollen wir mal.

Sie holt ein Gefäß mit Blutegeln hervor.

Huaaaa, sagt die Frau. So eklig hätte sie die nicht in Erinnerung gehabt.

Die Tierheilpraktikerin lächelt sanft. Möchtest du den Lutschi schon mal rasieren?, schlägt sie vor.

Rasieren? Was? Wie? Wo?

Na, da wo die Egelchen beißen sollen, lächelt die Frau vom Fach.

Ach, sagt die Frau. Wissen die das denn nicht von alleine?

Nein, man muss ihnen schon helfen. Zum Beispiel dadurch, dass man die betreffende Stelle rasiert und anritzt. Und DANN suchen sie sich die richtige Stelle.

Anritzt? Mit einem Messer? Die Frau steht kurz vor der Ohnmacht.

Nein, nur mit einer Kanüle, so dass ein Tröpfchen Blut fließt. Du kannst ja solange lauwarmes Wasser holen und die Blutegel abspülen.

Nein, da muss ich die ja anfassen und dann beißen die mich, verweigert sich die Frau kategorisch. Schließlich sollen die ja dem Lutschi seinen Bluterguss auf der Sehne austrinken.

Das machen die eh nicht, winkt die THP ab. Die geben verschiedene Stoffe ab, die unter anderem die Blutgerinnung und Entzündungen hemmen.

Meinetwegen, zeigt sich die Frau konziliant.

Mittlerweile ist die betreffende Stelle des Beins rasiert.

Du hast ja die letzten 14 Tage nichts mehr auf die Haut aufgetragen, was die Egelchen erschrecken könnte?, will die Egelfrau wissen.

Außer Parfüm nichts, überlegt die Frau.

Beim Lutschi, meine ich.

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Fair und nachhaltig shoppen!

Ach so. Nein, das Einreibzeugs vom Tierarzt ist abgesetzt.

Na dann, kichert die Egelfrau, ritzt ganz sanft den Lutschi an und zaubert einen frisch lauwarm abgebrausten Egel hervor. Die Frau fällt fast in Ohnmacht. Der Lutschi nicht. Der steht stoisch und leise vor sich hin blutend da und tut sich am außer der Reihe dargebotenen Heu gütlich.

Egel Nummer Eins nimmt Witterung auf und saugt sich fest. Der Lutschi zuckt nicht mit der Wimper, die Frau umso mehr.

Oh mein Gott, ist das eklig, merkt sie an.

Findest du? Ich finde es eigentlich sehr spannend. Guck mal, jetzt ist der Egel in Saugposition. Sie deutet auf die veränderte Körperhaltung des Saugwurms. Jetzt setze ich die anderen daneben an und dann tun die Egelchen ihre Arbeit.

Viel später meldet sich die Frau erneut zu Wort: Das nimmt ja gar kein Ende! Und wie das blutet!

Das liegt an den gerinnungshemmenden Stoffen, die die Egel abgeben. Wenn sie genug getrunken haben, fallen sie ab. Die Stelle, an der die Egel gebissen haben, blutet noch bis zu 24 Stunden nach. Das ist eine erwünschte Nebenwirkung.

Aha, sagt die Frau, die gerade herausgefunden hat, dass sie kein Blut sehen kann.

Guck, da liegt schon der erste. Die Behandlerin sammelt einen satten, glücklichen Blutegel ein. Die anderen sind auch schon fast fertig. Die trinken jetzt deutlich langsamer als zu Beginn.

Ich glaub dir auch so, sagt die Frau, die gar nicht mehr hinschauen mag.

Als alle Egel abgefallen sind, erholt sich die Frau langsam aus ihrer Schockstarre. Darf ich mal einen anfassen?, fragt sie.

Ja klar.

Ist ja gar nicht schlimm. Wie eine komatöse Nacktschnecke und nicht mehr wie eine SEHR SCHNELLE hungrige Schlange. Und die können was genau?

Die können bei sehr vielen verschiedenen Erkrankungen eingesetzt werden. Zum Beispiel bei Bänder- und Sehnenerkrankungen, Hufrehe, Gallen, Arthrose undsoweiterundsofort.

Nachdenkliche Pause, in der die Frau zügig zu ihrer alten Form zurückfindet und laut nachdenkt. Und so eine Behandlung kostet drölfzig Euro? Für ein bisschen rasieren und viel rumsitzen?

Die Frau ist ja immer auf der Suche nach einer Alternative zu ihrem Bürojob und ich glaube, sie hat gerade ihren Traumberuf gefunden. Blutegelflüsterin!

Du müsstest halt auch die Egel ansetzen und dich mit ihnen beschäftigen, gibt die THPeuse zu bedenken.

Und ich glaube, nur deshalb ist sie noch hier und nicht längst auf der St. Egelbert Akademie „Zum fröhlichen Blutsauger“. Aber darüber nachdenken tut sie immer noch.

Bild: Der Lutschi stärkt sich. Am linken Vorderbein lächelt ein Blutegel in die Kamera.

Zum Weiterlesen: Bei Ride on Horses und Tipps zum Pferd findet ihr Infos zum Behandlungsablauf und zu den verschiedenen Einsatzgebieten der Blutegel.

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