Das sieht soooooo cool aus, das will ich auch!

Endlich ist die Halle frei. Die Frau hat sich nicht gerade die günstigste Jahreszeit ausgesucht, um an ihrem Projekt Freiarbeit zu arbeiten. Aber was soll man tun, wenn es mit der Piaffe vorn und hinten nicht klappt und mit der Reitkunst noch viel weniger? Eben, da geht man über zur mystischen Kommunikation mit dem Seelenpferd. Auch und erst recht, wenn man vorher den halben Stall zum Teufel jagen muss, damit man endlich die Reithalle für sich hat. Aber nun ist es endlich soweit und das spanische Mähnenwunder im Schritt gut aufgewärmt. Das ist der positive Aspekt an langen Wartezeiten, man kann das Pferd schon mal ordentlich im Schritt aufwärmen, wie Frau Reitlehrerin erklärt. Die Frau zieht ein langes Gesicht. Sie wollte sich ja mehr bewegen, aber doch nicht so viel.

Aber egal. Jetzt ist der Lutschi dran mit Laufen, denn ihr neues Ziel heißt freies Zirkeln. „Das sieht immer toooootaaaaal schön aus im Internet, das will ich auch!“, strahlt sie Frau Reitlehrerin an.

„Was genau meinst du damit?“, erkundigt sich Frau Reitlehrerin.

„Ja so longieren ohne Longe halt. Und es sieht tooootaaaal schön aus und tänzerisch.“

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Meist hört man auch Musik und Mensch und Pferd bewegen sich bei schönem Wetter in Zeitlupe. Aber ich bin ja hier nur das Pferd und man sagt mir nach, ich würde lästern. Frau Reitlehrerin scheint ähnliche Assoziationen zu haben, denn sie fragt: „Du meinst aber nicht die Videos, wo die Pferde auf sehr kleinen Kreisen um einen Menschen herumlaufen?“ Doch, möglicherweise schon, aber das würde die Frau nie zugeben. Stattdessen antwortet sie: „Na, freies Zirkeln hat.“ Und fügt hinzu – für ihre Verhältnisse ziemlich gerissen – : „Das kann man doch sicher lernen.“

Aber sicher kann man das, und Frau Reitlehrerin weiß auch, wie. Zunächst einmal soll die Frau das bisher Gelernte vorführen. Da sie nicht geübt hat, dauert das ein bisschen, aber mit Frau Reitlehrerins Hilfe und viel gutem Willen kann man die Anfänge des Appells erkennen.

„Sehr gut“, streut Frau Reitlehrerin ein pädagogisches Lob ein. „Daraus können wir das freie Zirkeln entwickeln. Erst führst du den Lutschi am durchhängenden Seil auf einer Volte.“ Gesagt, getan. „Jetzt machst du das Seil ab. Das ist der Teil der Freiarbeit, wo du mit dem Lutschi über deine Körpersprache kommunizierst.“

Oh. Ah. Wie aufregend. Die Frau hyperventiliert vor Aufregung. Oder weil sie sich in der Freiarbeit mehr bewegt als die ganze Woche über, wer weiß das schon. Der Lutschi ist auf jeden Fall tiefenentspannt und wackelt neben der Frau her, die geradeaus geht. Und auf Ansage von Frau Reitlehrerin eine Wendung nach innen macht, wo der Lutschi brav mitkommt. Dann wird gelobt und es geht wieder geradeaus – ungefähr so lange, bis der Lutschi anfängt, sich für andere Dinge zu interessieren, dann kommt wieder eine Wendung nach innen. Und Lob. Und erneut geradeaus angehen. Und irgendwann fällt der sogenannten Besitzerin auf: „Das ist ja eine Quadratvolte!“

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Krone der Schöpfung, ne. Kannste dir nicht ausdenken, sowas.

„Und wo das mit der Quadratvolte jetzt so gut klappt“, lächelt Frau Reitlehrerin, „rundest du als Nächstes die Ecken ab.“

Die Frau zieht ein langes Gesicht. Aber Frau Reitlehrerin guckt auffordernd und schließlich spuken die Worte „freies Zirkeln“ immer noch im Kopf der Frau herum, was die Motivation erheblich erhöht. Also wird weiter gekreist, wobei Frau Reitlehrerin die Körperhaltung der Frau zwischendurch nachjustiert und ihre Körperachse und den Lutschi ins rechte Verhältnis setzt.

„Und? Und? Siehst du es? Freies Zirkeln. Ha. Ich bin ein Pferdeprofi!“, jauchzt die sogenannte Besitzerin in einem Anfall von Größenwahn.

Frau Reitlehrerins Lächeln sieht allmählich gezwungen aus. „Die Volten klappen jetzt sehr gut“, lobt sie dennoch, denn ihre pädagogische Einstellung ist durch nichts zu erschüttern. Sie schlägt vor: „Die nächste Steigerung wäre, dass du die Volten allmählich vergrößerst und den Lutschi nach und nach mit mehr Abstand um dich herum gehen lässt.“

„Warum? Ich finde das toll. Auf meinen Videos machen die das auch so, und das sieht ganz wunderschön aus“, jauchzt die Frau.

„Du wolltest doch freie Zirkel und keine Volten“, erinnert Frau Reitlehrerin.

Die alte Spaßbremse hat ja an allem was auszusetzen, denkt die Frau. Aber da spricht Frau Reitlehrerin schon weiter: „Wir beenden die Übung mit dem Appell. Du läufst also rückwärts und rufst den Lutschi zu dir herein. So wird der Appell noch einmal gefestigt. Denn du weißt: Das, womit die Stunde aufhört, behält man am besten im Gedächtnis.“

„Ach ja, da war doch was“, erinnert sich die Frau. Aber es ist doch wie verhext: Auch bei der Freiarbeit muss man so schrecklich viel denken. „Wann klappt das denn endlich?“, will sie wissen.

„Es ist ein Prozess“, lächelt Frau Reitlehrerin. „Und wenn du das übst, wird es schnell besser.“

Ach, man muss es auch noch üben. Die Begeisterung der Frau erstirbt sichtlich. Und weil ihr dieses ganze Denken und Üben zuwider ist, ist auch schnell Schluss mit dem Projekt Freiarbeit. Aber uns wird schon nicht langweilig, denn die Irre hat bekanntlich ständig neue Ideen.

Bild: Die Irre hat Zöpfchen geflochten. Mit ihren zwei linken Händen. Woher ich das weiß? Fragt nicht 😛

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