Für euch gelesen: Blickschulung – pferdegerechte Ausbildung erkennen

„Oh, wie schön“, jauchzt die Frau, meine sogenannte Besitzerin, als sie bei der S-Dressur im Nachbarort zuschaut. Da ist nämlich Turnier und die Frau, die ja im Nebenjob Dressur-Queen ist, fiebert schon lange darauf hin, ihre Idole aus der Nähe zu sehen. Frau Reitlehrerin ist mitgekommen und beäugt das derzeitige Objekt der Begierde. „Der geht taktunrein. Oder lahm. Guck mal auf hinten links“, meint sie. Ihr Lächeln sieht mittlerweile etwas gezwungen aus. Offensichtlich bereut sie es schon, dass sie sich hat breitschlagen lassen, mitzukommen.

„Taktunrein?“, echot die Frau, mit Fragezeichen in den Augen.

Und weil die Antwort auf diese Frage länger gedauert hätte als die Dressuraufgabe, liest die Frau jetzt „Blickschulung“. Quasi als Hausaufgabe von Frau Reitlehrerin. Und kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Das Buch ist nämlich randvoll mit schönen Fotos, und gleich zu Anfang zeigt Frau Beran eine Levade am Halsring, was sie in den Augen der Frau schon mal als anbetungswürdig klassifiziert. Was sie auch für Frau Beran einnimmt: „Die hat bei diesem Stierkämpfer gelernt, der jetzt diesen vertikalen Reitunterricht gibt! Hach!“ Worauf Frau Reitlehrerin freundlich lächelnd erklärt, dass der Unterricht früher möglicherweise anders oder besser war, es aber aktuell keine schönen Bilder aus dieser Sparte des Reitens gäbe. Was nur zeigt, dass man immer genau hingucken muss.

Hier aber erstmal die Eckdaten:
Blickschulung: Pferdegerechte Ausbildung erkennen
Anja Beran
Crystal-Verlag
196 Seiten mit vielen Fotos
44,00 EUR

*

Weil es um Blickschulung geht, gibt es aber nicht nur schöne Fotos, sondern auch diverse Grafiken mit nicht so schönen Bewegungsabläufen, die aus hochkarätigen Dressurprüfungen entnommen und anonymisiert wurden. Und es wird haarklein erklärt, was genau auf der Abbildung passiert und wieso es falsch ist. Oder eben richtig. Und weil sie schon mal dabei ist, liefert Frau Beran einen kurzen Abriß der langjährigen Ausbildung eines jungen Pferdes und weist auf Schwächen und Fehler im System hin, die dazu führen, dass Pferde viel zu jung angeritten und nicht altersgemäß ausgebildet werden. Denn: „Der Hals formt sich zuletzt!“ Wieso also so früh schon Ausbinder und Reiten in einem Rahmen, der so von der Natur nicht vorgesehen ist? Fragen über Fragen. Die Frau nickt nachdenklich.

Ein weiterer, wichtiger Punkt ist die Diskrepanz zwischen den Richtlinien der FN und der tatsächlichen Turnierwertung. Da gibt es viele Beispiele: Traversalen sind laut den Richtlinien im versammelten Trab zu reiten. Auf den Turnieren werden aber Traversalen, die in Trabverstärkungen geritten werden, höher benotet, weils halt spektakulärer aussieht. Genauso der versammelte Trab, der oft passageartig gezeigt wird – weils mal hoch benotet wurde. Oder Trabverstärkungen: Die sehen eher aus wie spanischer Trab, weil die Fußfolge gestört ist. Ach und weh. Die Frau sieht ihre Vorbilder mit ganz anderen Augen. Das spanische Mähnenwunder und ich rechnen uns schon ein paar reitfreie Tage aus, weil die Frau das Gelesene erstmal verdauen muss.

Ja und dann kommt mein persönliches Highlight: Die Piaffe. Beziehungsweise der Vergleich Piaffe-Spagat. Die sogenannte Besitzerin will ja auch immer Piaffe reiten, obwohl es bei den Basics vorn und hinten nicht stimmt. Mit der Begründung, dass theoretisch jedes Pferd eine Piaffe zeigen kann. Ja, und jeder Mensch theoretisch einen Spagat! Da muss man sich nämlich drauf vorbereiten, da müssen bestimmte Voraussetzungen erarbeitet werden, damit man solche Übungen schadlos zeigen kann. Und allein für diese geniale Gegenüberstellung feiere ich die Frau Beran. Das spanische Mähnenwunder nicht so, das fand aber die Bilder schön. Die Frau übrigens auch. Über den Text wollte sie noch nichts sagen, ich glaube, es arbeitet noch in ihr 😉

Pro: Blickschulung ist extrem wichtig, und hier gibt es genug schöne und nicht so schöne Bilder plus gute Erklärungen, um das Auge zu schulen.

Contra: Es gibt ein Lehrvideo zum Buch, auf das per QR-Code hingewiesen wird. Da wäre es doch eine feine Sache, wenn man ein paar kurze Sequenzen daraus ebenfalls per QR-Code einfügen würde. Ich meine, wenn man schon einmal dran ist mit den QR-Codes 😉

Fazit: Ein wirklich gutes Buch! Frau Beran gibt wichtige Denkanstöße. Hoffentlich schulen auch die Turnierrichter und die anderen Verantwortlichen in der Sport- und Freizeitreiterei ihren Blick, damit das Reiten insgesamt wieder harmonischer und pferdegerechter wird.

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