Das Garrocha-Dingens

„Ich mach jetzt übrigens dieses Garrocha-Dingens. Du auch“, erklärt mir die Frau gutgelaunt. Ich bin überrascht. Frau Reitlehrerin nicht minder.

Kurze Info: Wir sind mitten in der Reitstunde und beschäftigen uns mit der hohen Reitkunst, sprich: Frau Reitlehrerin versucht, der Frau etwas zu erklären, worauf die aber gerade keinen Bock hat. Ihre neueste Taktik besteht darin, Frau Reitlehrerin in eine Diskussion zu verwickeln und mit überraschenden Informationen zu konfrontieren.

„Ah ja“, macht Frau Reitlehrerin.

„Weil das nämlich cool ist und ganz einfach aussieht“, fährt meine Reiterin fort. Ich weiß ja, wie sie ist, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat und denke sorgenvoll über meine Zukunft nach.

„Garrocha, das ist doch dieser lange Holzstab, den man in Spanien zum Stiereschubsen verwendet?“, erkundigt sich Frau Reitlehrerin. Auch noch Stiere! Mir kräuseln sich die Nackenhaare.

„Nein, nein, ganz anders!“, belehrt uns die Frau. „Man hält die Garrocha sehr elegant in einer Hand und reitet dann ganz wunderschön damit herum.“ Frau Reitlehrerin und ich gucken uns an.

Frau Reitlehrerin fragt, ob denn der Frau bewusst wäre, dass dieses einhändige Reiten – nun ja, eben einhändig wäre. Weil man in der anderen ja diese sehr lange, sehr schwere Stange hätte. Das tut die Frau mit einem verächtlichen Schnaufen ab. Einhändig wäre ja kein Problem. Zügel in eine Hand und fertig!

Einerseits ja, aber andererseits müsste das Pferd dabei komplett an den Hilfen sein, erklärt Frau Reitlehrerin. Sprich: Aus dem Sitz heraus geritten sein. Ansonsten würden die ganzen engen Wendungen, die man unter der Garrocha hindurch reitet, gar nicht funktionieren.

Ah ja. Die Frau überlegt hektisch. So eine Garrocha ist ja nicht lang, nur so dreieinhalb Meter, denkt sie laut. Das wären ja dann schon SEHR enge Wendungen.

Aber dafür wären Garrochas nicht schwer. Nur so zwei bis drei Kilo, also weniger als das, was die Frau für gewöhnlich auf der Hand hat, wenn sie sich am Zügel festhält, tröstet Frau Reitlehrerin. Die Frau vermutet Ironie und ist sicherheitshalber erstmal beleidigt.

Ich weiß ja nicht, was ich davon halten soll. Einerseits mache ich mir Sorgen um die Frau – hoffentlich verletzt sie sich nicht!, andererseits um mich (hoffentlich haut sie mir das Ding nicht auf den Kopf!). Enge Wendungen, während meine Reiterin mit einem dreieinhalb Meter langen Knüppel kämpft, das kann ja nicht gut gehen.

Wie wäre es denn mit Halsringreiten?, schlägt Frau Reitlehrerin vor. Das wäre ein wunderbarer Prüfstein dafür, ob die Frau die Hilfen wirklich nur aus dem Sitz heraus gibt. Und wenn das gut klappt und sie den Zügel eigentlich nicht mehr braucht, dann, ja dann wäre es Zeit für einhändiges Reiten mit einem Stangengebiss.

Ein Stangengebiss… das ist ja… das ist ja eine Kandare! Der Frau ist schwindelig vor Glück. Endlich! Frau Reitlehrerin hat im Unterricht das Wort Kandare erwähnt! So fühlt sich der siebte Himmel an. Wenn man auf Kandare reiten kann, dann kann man nämlich reiten. Und sie ist
soooooo kurz davor!

Denkt sie jedenfalls. Frau Reitlehrerin und ich wissen es besser 😊

Zum Weiterlesen: Warum es keinen Sinn macht, mit einer Trense einhändig zu reiten, mit einem Stangengebiß aber schon, weiß Nadja von Verstehe Pferde. Außerdem erklärt sie euch, warum eine Trense lateral wirkt und eine Kandare vertikal.

Bildunterschrift: Mentale Vorbereitung auf das Garrocha-Dingens

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