Die Frau hat Hände – und irgendwie hängen die Schultern auch mit dran

Entgegen aller Wahrscheinlichkeit hat die Frau die Hoffnung auf Piaffe und Passage noch nicht aufgegeben. Neulich im Reitunterricht, als es grad mal wieder nicht so lief, wie sie das wollte (das passiert ja eigentlich dauernd, aber sie kann sich einfach nicht daran gewöhnen), fragte sie Frau Reitlehrerin mit ihrem schönsten Dackelblick, wann es denn endlich an die höheren Lektionen ginge. Das mit dem feinen Reiten hätte sie ja schon ganz gut drauf, da könnte man doch wirklich mal an die Piaffe denken. Sie würde schon so lange reiten, da wäre die doch mittlerweile fällig.

Außerdem ist sie natürlich neidisch auf den Mann, der noch nicht so lange reitet wie sie und schon Traversalen kann. Sie würde das aber nie zugeben 😉


Aber immerhin hat sie mich schon im Schritt zu Schulterherein und irgendwas genötigt, was möglicherweise Travers sein soll. Wenn das mal nicht höhere Lektionen sind! Und das, wo sie doch eigentlich schon mit dem Unterschied zwischen Links und Rechts überfordert ist. Ich bin empört und sehe Frau Reitlehrerin an.

Die guckt auf die Hände der Frau. Was es denn da zu gucken gäbe, sie hätte schließlich alles im Griff, blökt die zu Frau Reitlehrerin rüber. Wo ist nur der niedliche Dackelblick hin, frage ich mich im Stillen. Aber andererseits kenne ich meine Besitzerin ja schon länger, weshalb ich mich über den plötzlichen Sinneswandel nicht wundere. Frau Reitlehrerin geht es ähnlich, sie spricht unbeeindruckt über die Anlehnung, die ja bekanntlich vom Pferd ausgehen soll und nicht von der Reiterin. Das hätte die Frau ja tatsächlich schon gut hingekriegt. Die weiß gar nicht wohin mit sich vor lauter Stolz. „Siehste“, nuschelt sie mir ins Ohr.

Tatsächlich, fährt Frau Reitlehrerin fort, könnte es aber noch besser werden, wenn die Bewegung der Hand – zum Beispiel im Schritt – nicht aus dem Arm käme, sondern aus den Schultern.
„Aha?“, fragt die Frau irritiert. „Dieses Vor-zurück-mitgehen?“
„Ja genau“, meint Frau Reitlehrerin. Der Ursprung der Bewegung läge nämlich zwischen den Schulterblättern. Die Arme wären halt irgendwie nur dazwischen, um die Bewegung zu übertragen.
Die Frau staunt. Was Frau Reitlehrerin alles weiß! Wie man das hinbekäme, will sie wissen.
Entweder man wäre entspannt und in allen Gelenken locker – die Frau verneint – ooooder…
„Ja?“, giert die Frau.
„Mit inneren Bildern“, antwortet Frau Reitlehrerin.
„Und zwar?“
„Mit der Vorstellung, dass die Schulterblätter geschmeidig über den Rippenbogen gleiten. Von ganz allein und mühelos.“
Die Frau denkt nach und probiert es aus. Fühlt sich nicht schlecht an. Wenn ich ganz ehrlich bin, hält sie sich schon seit ein paar Wochen nicht mehr am Zügel fest und die Anlehnung ist sehr viel leichter und angenehmer geworden, aber das hier ist tatsächlich besser.

Frau Reitlehrerin ist wirklich sehr klug. Ich bin auch ein ganz klein bisschen in sie verliebt. Sie erklärt der Frau auch, dass das nicht nur im Schritt so wäre, sondern in allen Gangarten. Der Arm wäre einfach so da, aber die Bewegung käme aus den Schulterblättern, die wie gut geölte Scheiben über die hinteren Rippen flutschen. Gut, die Finger dürften sich auch bewegen, um bei Bedarf einseitig den Zügel zum Vibrieren zu bringen. Man dürfe auch schon mal das Handgelenk eindrehen – und auch wieder aus, was die Frau gern vergisst. Aber mehr aktive Bewegung wäre da nicht. Der Rest wäre mitgehen mit der Hand und bloß nicht stören. Die Frau staunt und macht sich innerlich Notizen. „Und danach Piaffe“, murmelt sie. Ich glaube nicht 🙂

Der Mann reitet übrigens gerade Trabtraversalen, aber heimlich. Um ihre Gefühle nicht zu verletzen.

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